1 Antijudaismus

Als sich vor 2000 Jahren das Christentum vom Judentum abspaltete, brauchte es eine neue Identität. Und diese funktionierte in der Abgrenzung gegenüber dem Judentum. Das Judentum wurde kollektiv für die Kreuzigung von Jesus verantwortlich gemacht. Die Abwertung des Judentums war kein Nebeneffekt, sondern ein zentrales Element der christlichen Selbstdefinition. Der Vorwurf des Gottesmords bildete die Grundlage für den religiösen Antijudaismus.

Mit der Christianisierung Europas dehnte sich diese Judenfeindschaft aus. Antijüdische Stereotype verbreiteten sich durch die Medien der damaligen Zeit: durch Predigten, durch theologische Schriften sowie durch Darstellungen in der Kunst. Kirchenfenster und Altare mit antisemitischen Bildbotschaften bezeugen das bis heute.

Im Mittelalter wurden diese religiösen Vorurteile institutionalisiert. Juden:Jüdinnen wurden in vielen Ländern rechtlich benachteiligt: Sie durften nur bestimmte Berufe ausüben und mussten in einigen Städten in abgetrennten Vierteln leben. Der Vatikan verpflichtete Juden:Jüdinnen bereits zum Tragen eines stigmatisierenden Kennzeichens an der Kleidung.

Damalige Darstellungen zeigen Juden:Jüdinnen häufig im Zusammenhang mit Geld, obwohl die meisten aufgrund von Diskriminierung in ärmsten Verhältnissen leben mussten. Aufgrund von Berufsverboten im Handwerk und in der Landwirtschaft waren einzelne Juden:Jüdinnen auf den Geldverleih angewiesen. In dieser Zeit entstand das Feindbild des „jüdischen Wucherers“. Trotz christlichen Zinsverbots waren jedoch mehr Christ:innen in dem Bereich tätig. Hass und Neid richtete sich jedoch gegen Juden:Jüdinnen.

Eine wirkmächtige Legende war auch die sogenannte „Ritualmordlegende“: Der Glaube, Juden würden christliche Kinder entführen und ermorden, um deren Blut für rituelle Zwecke zu verwenden. Solche Falschbeschuldigungen/Fake News legitimierten Gewalt und führten zu Pogromen und Massenmorden, wie beispielsweise beim Ersten Kreuzzug (1096) oder in der Zeit der Pestepidemien im 14. Jahrhundert. Damals wurden Juden:Jüdinnen fälschlich beschuldigt, Brunnen vergiftet zu haben.

Ein bedeutender Verstärker des mittelalterlichen Antijudaismus war Martin Luther. In seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (1543) beschimpfte er Juden:Jüdinnen, forderte die Zerstörung ihrer Synagogen und empfahl, sie zur körperlichen Arbeit zu zwingen oder zu vertreiben. Diese Aussagen wirkten weit über Luthers Zeit hinaus: Sie prägten den protestantischen Antijudaismus und wurden später von den Nazis aufgegriffen. Luthers antisemitische Schriften zeigen, wie tief religiös motivierter Judenhass im europäischen Denken verankert ist.