Im Redaktionsalltag geht es häufig darum besonders viel Aufmerksamkeit zu generieren: Welcher Artikel hat die meisten Likes, welcher wird am häufigsten aufgerufen. Gerne greift man deswegen zu einfachen und polarisierenden Schlagzeilen, sogenanntes Clickbaiting. Es kann dazu führen, dass Klischees bedient oder Generalisierungen vorgenommen werden. In einigen Fällen, je nach Thema, kann es sogar zu einem antisemitischen Framing führen.
Sie reduzieren die Komplexität
Beim Clickbait wird das Auslösen einer Emotion über die Vermittlung von Informationen gestellt und damit Komplexität reduziert. Diese Dynamiken ähneln den Wirkmechanismen von Antisemitismus: Auch er operiert mit Vereinfachung, Überzeichnung und Feindbildern.
Sie vermitteln "Geheimwissen"
Antisemitismus stützt sich häufig auf vermeintliches "Geheimwissen", dieses kann durch solche sprachlichen Frames subtil angedeutet und so internalisierte antisemitische Denkstrukturen angesprochen werden (mehr dazu weiter unten).
Sie arbeiten mit Codes
Selbst wenn Juden:Jüdinnen nicht explizit genannt werden, können strukturell antisemitische Muster auftauchen, zum Beispiel in Form von Codes. Die Verwendung solcher Codes kann als eine Form des Framings verstanden werden, denn durch bestimmte Begriffe oder Formulierungen wird eine ganze Weltanschauung angedeutet, ohne sie offen auszusprechen. Auf diese Weise werden bei den Lesenden Assoziationen geweckt und die unausgesprochenen Inhalte selbstständig ergänzt. Welche Codes es u.a. gibt, hast du bereits in Modul 3 gelernt.
Lerne hier Frames kennen, die im Kontext der Berichterstattung zu Antisemitismus und jüdischem Leben besonders häufig vorkommen.
... ist ein wiederkehrendes Muster in der antisemitischen Weltanschauung, das du bereits in vorherigen Sessions kennengelernt hast. Was das im Kontext der Berichterstattung über Israel bedeutet, erzählt dir unser Experte Philipp Peyman Engel im nebenstehenden Video.
... ist ein Framing, bei dem antisemitische Vorfälle relativiert werden, indem auf andere „Missstände“ verwiesen wird. Dadurch steht der eigentliche Anlass, zum Beispiel ein antisemitischer Angriff nicht mehr im Fokus. Für Leser:innen entsteht so der Eindruck, dass Antisemitismus weniger schlimm sei oder im Kontext eines größeren Ganzen bewertet werden müsste. Nach dem Motto: „Es ist schlimm, dass in Köln ein Jude angegriffen wurde, aber was Israel mit Palästina macht, ist ja auch nicht richtig.“ Diese Art des Framings kann gefährlich werden, weil antisemitische Vorfälle banalisiert oder gerechtfertigt erscheinen. Besonders perfide ist: Es wirkt auf den ersten Blick, als werde der antisemitische Angriff kritisiert, tatsächlich dient es aber oft dazu, Schuld umzulenken (siehe Täter-Opfer Umkehr).
... setzt dort an, wo von „Hintermännern“ oder „Strippenziehern“ die Rede ist. Es spielt mit dem Misstrauen gegenüber etablierten Medien, Politik oder Wissenschaft und greift dabei auf klassische antisemitische Erzählmuster zurück, die du bereits in Modul III kennengelernt hast. Solche Codes und Andeutungen aktivieren vertraute Bilder, ohne sie direkt auszusprechen. Lesende füllen diese Leerstellen selbst mit vermeintlichem „Wissen“, das in einer antisemitisch geprägten Gesellschaft bereits in der Sozialisation vermittelt wird.
... beschreibt eine rhetorische Strategie, bei der Israel oder Juden:Jüdinnen nicht mehr als politische Akteure mit nachvollziehbaren Interessen, sondern als rein destruktive und grundlegend böse Kräfte dargestellt werden. Wie du bereits gelernt hast, ist durch eine solche Darstellung kein kritischer Diskurs oder eine differenzierte Analyse mehr möglich, da ein ganz klares Feindbild gezeichnet wird, politische oder historische Kontexte spielen keine Rolle mehr.
... macht aus einer diversen und internationalen Community eine homogene gesellschaftliche und politische Einheit und konstruiert ein kollektives Verantwortlichsein für israelisches Regierungshandeln. Diese Logik ist nicht nur verkürzt, sondern antisemitisch: Sie macht Kritik an einem Staat zur pauschalen Zuschreibung gegenüber Juden:Jüdinnen und legitimiert dadurch Gewalt an Einzelpersonen. Dadurch wird jüdisches Leben zum politischen Angriffsziel z.B. wenn Juden:Jüdinnen für Handlungen der israelischen Armee verantwortlich gemacht oder jüdische Einrichtungen auf Grund von „Israelkritik“ attackiert werden. Solche Framings tragen zur Entgrenzung antisemitischer Gewalt bei, nicht nur rhetorisch. Sie verwischen die Linie zwischen legitimer Kritik an Staaten und strukturellem Hass und Gewalt gegen Menschen.
... setzt Sachverhalte in einen historischen Kontext bzw. deutet Kontinuitäten an. Wer solche Begriffe nutzt, rückt z.B. israelisches Handeln in die Nähe nationalsozialistischer Verbrechen und betreibt damit eine Umkehr der historischen Täter-Opfer-Beziehung. Israel wird nicht mehr als Staat in einem realen politischen Konflikt verstanden, sondern erscheint als Wiederholung des ultimativen Bösen. Für die Lesenden bedeutet das: Die moralische Bewertung wird durch die Sprache vorweggenommen. Israel erscheint nicht mehr kritisierbar, sondern grundsätzlich illegitim.
... ist ein häufiges Muster im antisemitischen Diskurs: Man dürfe Israel nicht kritisieren, um es im selben Atemzug dann doch zu tun. Dieses Framing inszeniert die eigene Meinung als unterdrückt und zugleich mutig. Kritik wird nicht sachlich geäußert, sondern mit dem Vorwurf verknüpft, man werde mundtot gemacht. Für Lesende entsteht dadurch der Eindruck, es gebe eine Wahrheit, die „man“ nicht sagen dürfe und genau das verleiht der antisemitischen Rhetorik scheinbare Legitimität.
Im Folgenden findest du eine Auswahl von Überschriften aus (bereits veröffentlichten) Artikeln. Bitte entscheide, ob du diese in ihrer aktuellen Form ebenfalls veröffentlicht hättest oder ob sie antisemitische Framings enthalten, die eine Veröffentlichung ausschließen.
Diskutiert in der Gruppe, wie hoch der Druck in eurer Redaktion ist, hohe Klickzahlen zu generieren, und ob dieser Druck dazu verleitet, auf Clickbait-Schlagzeilen zu setzen.